Schon mehr als zwei Wochen dauert der Krieg. Eine unbeschreiblich schwere Zeit besonders für alle, die ihre Heimat verlassen mussten. Auch die Kinder leiden furchtbar. Seit Kriegsbeginn sind in Swetlowodsk bereits hunderte Familien angekommen. Vergangenen Freitag feierten wir ein fröhliches Kinderfest! Mehrere Frauen aus verschiedenen christlichen Gemeinden stellten ein buntes Programm für die Flüchtlingskinder zusammen.

„Tante Wika, ich habe so große Angst. Heute Nacht sind wieder mehrere Flugzeuge über unser Dorf geflogen. Die Sirenen heulten laut und schrill.“ „Meinst Du, mein Bruder und mein Vater müssen auch in den Krieg ziehen?“ „Wie lange dauert der Krieg noch, ich will doch wieder zur Schule gehen?“ Endlose Fragen, mit denen unsere Kinder jeden Tag zu uns kommen oder die sie unsere Mitarbeiter am Telefon fragen.

Der Krieg hat unsere Arbeit radikal verändert. Alle unsere Kinderhäuser wurden zu Zufluchtsorten für Flüchtlinge. Wir haben jede Matratze, die uns zur Verfügung stand, in die  Zimmer gelegt. Jeden Tag heißen wir neue Menschen bei uns willkommen. Viele sind erstaunt, wie schön unsere Häuser ausgestattet sind. Auf ihrer Flucht haben sie in Garagen oder gar im Auto übernachtet. Manche bleiben nur eine Nacht, andere auch länger um sich etwas auszuruhen.

Wenn man vor dem Krieg unsere Kinderhäuser besuchte, wurde man fröhlich und laut begrüßt. Morgens trafen sich unsere „Spatzen“, unsere Vorschulgruppe. Die Jungs und Mädchen lernten erste Buchstaben kennen, malten, spielten, tanzten. Um die Mittagszeit kamen die größeren Kinder. Es gab ein leckeres Mittagessen, bei den Hausaufgaben wurde ihnen geholfen. Anschließend fanden verschiedene Workshops statt.

„Frau Grabenko, Sie leiten doch eine Nähwerkstatt hier in Swetlowodsk. Können Sie uns helfen? Wir wollen vorbereitet sein und brauchen eine große Menge Druckverbände in unserem Krankenhaus. Vielleicht können Sie mit ihren Mitarbeiterinnen Verbände für uns nähen?“ Vor ein paar Tagen erhielten wir diesen Anruf aus dem örtlichen Krankenhaus. Gerne helfen unsere Mitarbeiter, wo immer es möglich ist. Im Internet erkundigte sich Lena Grabenko...

Die Menschen in der Ukraine haben große Angst vor der Zukunft. Aber erst einmal müssen sie den Tag überstehen, sich neben aller anderen Sorgen damit beschäftigen was sie heute Essen werden. Bereits am frühen Morgen stehen Schlangen vor den Türen der Lebensmittelläden. Innerhalb kurzer Zeit sind die wichtigsten Produkte, die die Mitarbeiter in die Regale geräumt haben, ausverkauft.

Peter Degtjar ist einer unserer beiden LKW-Fahrer. Zusammen mit seiner Familie wohnt er in Krinitschki, einer Bezirksstadt mit ein paar tausend Einwohnern. Jahrelang leitete Peter zusammen mit seiner Frau das „Familienkinderheim“ von "Brücke der Hoffnung", in dem auch heute noch viele obdachlose Jungen und Mädchen und Waisenkinder leben.

In der Ukraine tobt der Krieg. Eine Situation, die sich keiner vorstellen konnte. Immer wieder werden wir hier in Deutschland gefragt, ob unsere Mitarbeiter das Land verlassen möchten? Unsere Mitarbeiter bleiben in der Ukraine. Sie wissen, dass Gott sie in diese Arbeit berufen hat. Sie wissen, dass unsere Kinder und die Flüchtlinge sie brauchen. Jeder hat männliche Angehörige oder Bekannte, die zum Militärdienst, zur Verteidigung des Landes, eingezogen wurden.

Immer wieder ertönen die Sirenen in Swetlowodsk. Manchmal hört man zuerst den akustischen Heulton eines Nachbarorts, dann geht der Alarm auch in der Stadt los. Alle Menschen ziehen schnell ihre Jacken und Stiefel an, nehmen eine Tasche mit den wichtigsten Dokumenten und Sachen mit. Ein Hund ist auch dabei. Auf den Weg in den Keller helfen sich die Menschen gegenseitig. Die Oma, die nicht mehr gut zu Fuß ist, wird tatkräftig gestützt.

Vor einer Woche begann der Krieg in der Ukraine. Am Tag zuvor feierten unsere Mitarbeiter mit den Kindern eine große Geburtstagsfeier. In der Halle in „Villa Sonnenschein“ hatten alle großen Spaß. Es wurden Lieder gesungen, lustige Spiele gespielt. Die Geburtstagskinder der vergangenen drei Monate freuten sich über ihre Geschenke. Das Lachen unserer Kinder wurde durch das Geräusch der Sirenen ersetzt, die vor den Luftangriffen warnen. Aber wir geben nicht auf!

Die Menschen in der Ukraine haben riesige Sorgen. Neben der Kriegsangst und der ständigen Bedrohung durch die russischen Flugzeuge und Soldaten, neben den Fragen der Kinder, die sie nicht beantworten können, wissen viele nicht, wovon sie sich Lebensmittel kaufen sollen. Die Firmen, die es in Swetlowodsk gab, haben mittlerweile geschlossen. Die Arbeiter wurden nach Hause geschickt, bekommen keinen Lohn mehr.

Eine weitere Kriegsnacht liegt hinter den Menschen in der Ukraine. Mehrmals in der Nacht heulten die Sirenen in Swetlowodsk. Auch unsere Mitarbeiter wurden aus dem unruhigen Schlaf gerissen. Diejenigen, die die Sirenen in ihren Häusern nicht hören können, weil sie zu weit von dem akustischen Heulton entfernt wohnen, wurden von anderen Mitarbeitern über das Handy informiert. Alle liefen in ihre Kellerräume und warteten, bis die Entwarnung kam.

Am späten Abend heulten in Swetlowodsk die Sirenen. In Panik eilten die Menschen in ihre Keller. Wer keinen Keller hat, versteckte sich in einem Raum ohne Fenster, viele im Badezimmer, die meisten in panischer Angst.  Nach zwei Stunden gab es Entwarnung. Drei russische Militärflugzeuge waren über das Gebiet geflogen, von denen eins abgeschossen wurde. Nach einer harten Nacht sind die Männer in Swetlowodsk schon ganz früh unterwegs.

Langsam geht der vierte Kriegstag zu Ende. Tiefe Erschöpfung macht sich breit. Menschen, die noch nie in eine Kirchengemeinde gegangen sind, haben heute einen Gottesdienst besucht, haben für Frieden gebetet. Man versucht den Kontakt zu Verwandten und Freunden zu halten, die auf der Flucht sind. An den Grenzen kilometerlange Schlangen. Männer setzen ihre Frau und Kinder dort ab und machen sich wieder auf den Heimweg, wissen nicht, wann oder ob sie ihre Familie wiedersehen werden.

Hinter unseren Mitarbeitern liegt eine dritte angespannte Nacht, seit der Krieg am Donnerstagmorgen ausgebrochen ist, eine Nacht, in der nur wenig geschlafen wurde. Die Menschen schauen wie gebannt den ganzen Tag Fernsehen, um herauszufinden, was gerade in ihrem Land passiert. Die ganze Nacht bleiben die Fenster geöffnet. Jeder will sofort reagieren, wenn russische Panzer auch durch seine Straße rollen.